Zu LF 7 (3) Der deutsche § 217

Der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon hat in der mündlichen Verhandlung zu den Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB die ersatzlose Streichung des Paragraphen gefordert. Wir dokumentieren seine Stellungnahme im Originalwortlaut:

Herr Präsident,
sehr geehrte Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts!

Die Würde des Einzelnen ist dadurch bestimmt, dass der Einzelne über seine Würde bestimmt – nicht der Staat oder die Kirche. Deshalb muss der Rechtsstaat dafür sorgen, dass die Pluralität der Würdedefinitionen der Bürgerinnen und Bürger in der Gesetzgebung berücksichtigt wird. So muss der Staat es einem strenggläubigen Katholiken ermöglichen, den Überzeugungen von Papst Johannes Paul II. zu folgen, der meinte, das Leben sei ein „Geschenk Gottes“, über das der Mensch nicht verfügen dürfe. Ebenso muss der Gesetzgeber es aber auch einem Anhänger der Philosophie Friedrich Nietzsches erlauben, „frei zum Tode und frei im Tode“ zu sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1965 darauf hingewiesen, dass nur ein Staat, der das Gebot der weltanschaulichen Neutralität beachtet, eine „Heimstatt“ aller Bürgerinnen und Bürger sein kann. Genau dies aber wurde bei der Verabschiedung von § 217 StGB ignoriert. Denn dieser Paragraph privilegiert die Sittlichkeitsvorstellungen einer religiösen Minderheit und diskriminiert all jene, die diese Vorstellungen nicht teilen. Man mache sich diese Ungeheuerlichkeit bewusst: Während 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für mehr Selbstbestimmung am Lebensende plädierten, beschlossen deren parlamentarische Vertreter die massive Beschneidung dieses Selbstbestimmungsrechts, indem sie kompetente Freitodbegleitungen unter Strafe stellten.

Dass § 217 nicht weltanschaulich neutral ist, erkennt man schon an seiner Entstehungsgeschichte. Die Vorlage für das Gesetz stammt von einer kirchennahen Stiftung, die vom Malteserorden gegründet wurde. Führende Protagonisten des Gesetzes wie der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) oder die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese begründeten ihre Haltung nicht zuletzt mit ihrem christlichen Glauben.

Eine „Rechtspflicht zum Leben“?

Dass die weltanschauliche Schieflage von § 217 vielen Parlamentariern nicht bewusst war, lag wohl auch daran, dass die Gesetzesvorlage das Recht auf Suizid nicht unmittelbar angriff, sondern bloß mittelbar. De jure kriminalisiert § 217 den Suizid nicht als solchen, de facto aber läuft die Untersagung der ärztlichen Suizidhilfe auf ein menschenrechtswidriges Verbot der Selbsttötung und somit auf eine „Rechtspflicht zum Leben“ hinaus, was sich der Staat nicht anmaßen darf.

Man kann sich diesen Sachverhalt verdeutlichen, indem man die Regelungen des § 217 auf die Bestimmungen zum „Schwangerschaftsabbruch“ überträgt: Stellen Sie sich eine Neufassung von § 218 StGB vor, die schwangeren Frauen nicht per se die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch verwehrt, sie aber dazu zwingt, die Abtreibung entweder alleine vorzunehmen oder dabei auf die Hilfe von Personen zurückzugreifen, die auf diesem Gebiet nicht geschäftsmäßig, also nicht professionell handeln, weil sie keine Ärzte sind! Natürlich ließe sich eine solche Regelung (der Frauenbewegung sei Dank!) niemals durchsetzen. Schwerstleidende Patienten haben jedoch keine vergleichbare Lobby, weshalb man sie nun dazu zwingt, entweder auf ihr Selbstbestimmungsrecht zu verzichten oder sich der Gefahr auszusetzen, ihr Leben ohne professionelle ärztliche Hilfe in unwürdiger, qualvoller Weise zu beenden.

Es wäre ehrlicher gewesen, das „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ als „Gesetz zur Strafbarkeit der kompetenten Unterstützung schwerstleidender Menschen“ zu bezeichnen. Denn genau darum handelt es sich: Normalerweise verlangen wir in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, die Anwesenheit von Experten, die genau wissen, was sie tun, und die Kriterien ihrer Entscheidungen in einer nachvollziehbaren Weise offenlegen. Nur bei der Suizidassistenz sollen ausgerechnet Laien ohne Fachwissen und ohne Transparenzkriterien tun dürfen, was Experten verboten ist.

§ 217 dient nicht dem Lebensschutz

Damit liefert das Gesetz schwerstleidende Personen einem ungeheuren Risiko aus – nicht nur, weil Laien in der Regel nicht wissen, was sie tun, sondern auch, weil viele Betroffene sich nun nur noch an ihre Angehörigen wenden können, welche – im Unterschied zu Ärzten – tatsächlich ein wirtschaftliches Interesse am vorzeitigen Ableben ihres Verwandten haben könnten. § 217 StGB dient also nicht dem „Lebensschutz“, wie so oft behauptet wird, sondern vielmehr selbsternannten „Lebensschützern“, die überkommene religiöse Normen über das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen stellen.

In diesem Zusammenhang sollte ein wichtiges Argument beachtet werden, auf das mein Stiftungskollege, der Strafrechtler Reinhard Merkel, unlängst hingewiesen hat: § 217 statuiert ein sogenanntes „abstraktes Gefährdungsdelikt“, welches unterstellt, dass die professionelle Suizidhilfe (im Unterschied zur Laienhilfe) mit der erhöhten Gefahr eines „unfreien“ Suizids einhergeht. Diese Behauptung ist jedoch aus dem empirischen Nichts gegriffen. Zwar darf der Gesetzgeber „abstrakte Gefahren“ definieren und verbieten; erfinden darf er sie aber nicht. Ich schließe mich daher Merkels Einschätzung an, dass § 217 StGB auch deshalb verfassungswidrig ist, weil „abstrakte Gefährdungstatbestände“, denen keine wirkliche Gefahr zugrunde liegt, gegen das Schuldprinzip (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen.

Fakt ist: Es gibt kein nennenswertes „Geschäft mit dem Tod“, wohl aber ein „Milliardengeschäft mit der Leidensverlängerung“. Fakt ist auch, dass sämtliche Argumente, die zur Verteidigung des Gesetzes vorgelegt wurden, durch die Erfahrungen der Länder, in denen professionelle Freitodbegleitungen stattfinden, empirisch widerlegt sind. Mehr noch: Wir können nachweisen, dass das Angebot von Freitodbegleitungen die Palliativmedizin beflügelt und zu einer deutlichen Reduzierung von Verzweiflungssuiziden und -versuchen geführt hat. (Nebenbei: Dass in vielen psychologischen Gutachten nicht zwischen rationalen Bilanz-Suiziden und irrationalen Verzweiflungs-Suiziden unterschieden wird, lässt sich nur als Ausdruck einer – vielleicht unbewussten – weltanschaulichen Voreingenommenheit deuten).

Fazit: Die ersatzlose Streichung von § 217 StGB

Ich komme zum Schluss: Der Rechtsstaat darf nur dann in bürgerliche Freiheiten eingreifen, wenn er hierfür eine rationale, evidenzbasierte und weltanschaulich neutrale Begründung vorlegen kann. Dieser Begründungspflicht ist der Gesetzgeber nicht nachgekommen. § 217 StGB tastet ohne nachvollziehbare Begründung mehrere Grundrechte in ihrem „Wesensgehalt“ an, nämlich die Artikel 1, 2, 3, 4, 9 und 12 GG. Und: Er steht zudem im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf das Urteil des EGMR im Fall „Haas gegen die Schweiz“, das von einer „positiven Verpflichtung des Staates“ spricht, „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die einen würdigen Suizid ermöglichen“. § 217 zielt auf das exakte Gegenteil davon ab, er verunmöglicht einen „würdigen Suizid“.

Der Deutsche Bundestag hätte das Gesetz niemals verabschieden dürfen, da die Gewissenformel der Verfassung, auf die sich viele Parlamentarier berufen haben, keineswegs auf das private oder gar religiöse Gewissen der Abgeordneten abzielt, sondern vielmehr auf das professionelle Gewissen von Berufspolitikern, die ihre Entscheidungen „als Vertreter des ganzen Volkes“ nach „bestem Wissen und Gewissen“ treffen sollten. Deshalb gibt es in diesem Fall nur eine verfassungskonforme Lösung des Problems, nämlich die ersatzlose Streichung von § 217 StGB! Eine verfassungskonforme Auslegung des Paragraphen ist unseres Erachtens nicht möglich, wie wir in unseren schriftlichen Stellungnahmen dargelegt haben.

Meine Damen und Herren, ich möchte schließen mit dem Hinweis, dass ich all dies nicht zuletzt auch im Namen der vielen verzweifelten Menschen vortrage, die mich in den letzten vier Jahren kontaktiert haben. Dabei handelte es sich keineswegs nur um Personen, die nah am Tod standen und einen würdigen Ausweg aus ihrer ausweglosen Situation suchten, sondern vor allem auch um Personen mit schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen, die Angst davor haben, möglicherweise für längere Zeit – begraben im eigenen Körper – ein Leben führen zu müssen, das sie nicht führen wollen. Bitte bedenken Sie in ihrer Entscheidung die reale Not der Menschen, die auf „Letzte Hilfe“ angewiesen sind! Diese verzweifelten Männer und Frauen haben das Recht, über ihr Leben und Sterben selbst zu bestimmen – ein Recht, das ihnen durch § 217 StGB in skandalöser Weise genommen wird! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Fundstelle:
https://hpd.de/artikel/ss-217-stgb-dient-nicht-dem-lebensschutz-sondern-selbsternannten-lebensschuetzern-16730

Zu LF 8 Sanfte Selbsttötung

Weltweit ereignet sich ca. alle 40 Sekunden ein Suizid. Das sind rd. 800.00 Suizidtote pro Jahr und damit deutlich mehr als es pro Jahr Kriegstote gibt. Die Zahl der missglückten Suizidversuche ist 3x höher mit einer hohen Dunkelziffer, die hinzurechnen wäre.  Die Medien sind aber angehalten, nicht über Suizide zu berichten.

Ein abgedrehter Sonderfall bist du also mit deiner Freitodabsicht nicht. Wenn du nun also dahin gekommen bist, dir konkret zu überlegen, wie du deine Freitodabsicht (oder soll es bis auf weiteres bei einer rein theoretischen Bejahung bleiben?) technisch-praktisch umsetzen könntest, wirst du einigen Aufwand zu treiben haben, dich solide kundig zu machen.

Unsere Absicht ist es in diesem Blog nicht, die technisch-praktische Seite in aller Ausführlichkeit abzuhandeln. Wir beschäftigen uns mit den psychischen Problemen.  Denn ein Kurzschluss-Suizid kann nicht das Ziel sein; er ist zumeist dann auch technisch schlecht vorbereitet. Andererseits ist es nicht besonders gut, sich voll und ganz auf die technische Umsetzung zu fixieren und alle emotionalen und seelisch-geistigen Hindernisse einfach nur wegzuschieben. Die Angst vor dem Schritt in die Selbsttötung lässt sich mit einer perfekten technischen Antwort auf das Know How  nicht kompensieren.

Es ist ein Segen, dass es sanfte Methoden gibt, aus dem Leben zu scheiden. Schließlich willst du doch keine dieser hässlichen Sauereien anrichten, wie vor den Zug werfen, vom Hochhaus springen, oder dir das Hirn mit einer Pistole aus dem Schädel blasen. Auch die immer noch häufigste Methode, das Erhängen, ist grausam.

Etliches ist Geschmackssache. Eins für alle gibt es nicht, und die Wahl des rechten Zeitpunktes ( s. LF 9) hängt auch ab von der gewählten Suizidmethode. Wer warten will, bis nichts mehr geht, ist bei seinem eventuell noch möglichen Gang in die Schweiz auf viel fremde Hilfe angewiesen. Auch das will langfristig vorbereitet sein, mit beträchtlichen Kosten.

Generell gibt es ja nur drei Wege in den selbstbestimmten Tod: du kannst deinen  Körper zerschmettern, du kannst dich vergiften, oder du kannst  deinem Gehirn den Sauerstoff abdrehen. Das Ersticken ist aber kein einladender Weg hierzu.

Am schönsten stirbt es sich wohl durch eine Hypoxie. Das ist kein biochemischer Vorgang sondern ein physikalischer. Relativ einfach stirbt es sich mit Hilfe einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung. Empfehlenswert ist dabei ein CO-Messgerät. Beim Tod läufst du rot an, und es gibt ein Gefährdungspotential für die, die dich auffinden.

Auf den ersten Blick am bequemsten scheint die Medikamentenmethode zu sein, also sich über einen Verstoffwechslungsprozess  zu vergiften. Allgemein gepriesen und tödlich wirksam ist hier das NaP, das Natrium-Pentabarbital. In Deutschland hast du keine Chance  da ranzukommen. Bleiben Überlegungen, was du auf Rezept bekommen und sammeln kannst.

Also umsehen, umsehen.  Hier einige Starthinweise:

Dass man nicht alles glauben soll, was im Netz steht, muss eigentlich nicht erwähnt werden. Trotzdem enthält das Internet, auch YouTube,  viele gute Informationen. Eine aktuelle Leseempfehlung:

Ein Klassiker des rationalen Suizids ist sicherlich der australische Arzt Philip Nitschke und seine Organisation.

PHILIP NITSCHKE; DIE FRIEDLICHE PILLE.

Die englische Ausgabe, The peaceful pill, 2011, wird laufend ergänzt.

Die beste Einstiegslektüre dürfte Jessica Düber geschrieben haben.

JESSICA DÜBER, SELBSTBESTIMMT STERBEN – HANDREICHUNG FÜR EINEN RATIONALEN SUIZID, 2017.

Ausgekoppelt und etwas ergänzt hat Jessica Düber hieraus zwei kleine Sonderausgaben. Die eine zur Tablettenmethode, die andere zu Edelgasmethode

Jessica Düber stützt sich deutlich auf

BOUDEWIJN CHABOT, DIGNIFIED DYING, 2014.

Chabot, ein holländischer Arzt,  will sein Buch leider nicht  auf deutsch erscheinen lassen. Lesen kannst du es auf amazon Kindle.

Peter Puppe kämpft mit seiner Initiative „Sterben dürfen“. Sein Buch:

PETER PUPPE,  SANFTE STERBEHILFE OHNE ARZT. DER SANFTE TOD HEUTE;  2017

2019 ist ein weiteres , sehr eigenständig geschriebenes Buch bei amazon erschienen:

VICTOR NICULESCU, SELBSTBESTIMMTES STERBEN. SANFTER TOD BEI KLAREM GEIST

Bemerkenswert ist, dass die brauchbare Hilfsliteratur für einen rationalen Suizid erst nach 2000 erschienen ist. Der Stein kommt erst in unserem Jahrhundert ins Rollen. Sei guten Mutes, du wirst schon das Richtige für dich finden.

Zur LF 2 Freitodwille und die heftigen Suizideinwände

Diskursive Argumente gegen den Freitod gibt es kaum. Wohl aber gibt es gegen ihn mächtige Vorbehalte, stille Hintergedanken und abwehrende Gefühle. Viele von uns weigern sich ja, den Gedanken an den Tod, geschweige denn den an den Freitod, überhaupt an sich herankommen zu lassen. Und es gibt die Bevormundung seitens derer, die meinen es besser zu wissen, im Lager der Theologen und Mediziner vor allem.

Der Tod ist ein mit Angst und Furcht besetzter Archetyp; wir betrachten ihn gängiger weise nicht als einen Freund, er ist ein Feind, ein Feind des Lebens. Zahllos sind die Geschichten, in denen Gevatter Tod gebeten wird, er möge sich noch einmal davon schleichen.

Das ist verständlich und war wohl noch nie anders. Versetzt man sich in die  Lage der Menschen in der Frühzeit, in deren lange, lange Geschichte, der gegenüber unsere stolze Moderne eine historische Winzigkeit ist, lässt sich der Tod als eben jener brutaler Verlust des Lebens nachempfinden, der er ja auch war. Mit einer Lebenserwartung von kaum mehr als 30 Jahren zogen sie bekanntlich als Jäger und Sammler in kleinen Horden umher, und der Tod schlug wohl meist unverhofft zu. Tragisch für den/die einzelne(n), tragisch zumeist als schwerer  Verlust für die ganze Gruppe. Die ganz schwach Gewordenen ließ man allerdings notgedrungen einfach zurück.

So gut wie alle starben zu früh. Ein überlanges Leben, wie es heutzutage fast normal geworden ist, lag außerhalb aller Möglichkeiten. Auch heute noch ist das Leben ein Abbruch, es gibt kein ‚vollendetes‘ Leben, aber eine Lebensdauer von nur 30 Jahren uns als ‚normal‘ vorzustellen, ist doch fast unmöglich.

Das Leben und den Tod mit einer vornehmen Distanz zu betrachten, Abstand zu gewinnen und den Lebenskampf  auch in seinen lächerlichen Zügen zu sehen, war sicherlich unmöglich. Sie konnten nicht anders, als den Tod als einen übermächtigen Eingriff in ihr karges Leben zu sehen, sie mussten ihn mystifizieren.

Den eigentlichen Kampf mit dem Tod, mit dem Ziel, ihn in einem höheren Leben zu überwinden,  nehmen dann die großen Mythologien auf.  Der Tod darf nicht länger der Tod sein, er muss von einem Leben überwunden werden, das unauslöschlich ist, zumindest geistig und wenn irgend möglich auch durch ein irgendwie geartetes Weiterleben des Körpers. Der ägyptische Osiris-Kult ist ein eindrucksvolles Beispiel. Die Idee des ewigen Weiterlebens war nun da und blieb.

In der griechischen Mythologie ist Thanatos der Dämon des Todes, ein richtig böser. In dem von Euripides ausgestalteten Drama um Alkestis, kann erst der heldenhafte Herakles in einem großen Ringkampf dem Dämon Thanatos  das Leben des Atmetos wieder entreißen, ihm also ein Fortleben möglich machen. Der Tod erfährt also eine Negation seiner selbst. Die alten Griechen waren allerdings recht nüchterne Leute,  ihre Toten kamen unerlöst in den Hades, in das Schattenreich.

Das Christentum aber verspricht Erlösung. Es steigert das Weiterleben  in der Weise, dass eine moralische Zielvorstellung hinzu tritt. Eine Zielvorstellung für das Weiterleben nach dem Tod, der bereits das gesamte irdische Leben unterzuordnen ist.

Heutzutage wird in dem herakleischen Ringkampf mit dem Tod eine imposante medizinisch-technische Apparatur aufgefahren, mit Maschinen und Medikamenten. Diese Instrumentalisierung des Lebensendes, diese Verdinglichung des Kampfes mit Thanatos ist beeindruckend. Futuristen arbeiten bereits heftig daran, den Tod biologisch ganz abzuschaffen.

Und nun kommst du daher und reklamierst das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben für dich. Das passt nun aber gar nicht zusammen. „Was erlauben Strunz?“ war ein Ausspruch des ehemaligen Fußballtrainers  Trapatoni, der zu einem geflügelten Wort für ein freches und abwegiges Auftreten wurde.

Mensch, willst du dich mit dem Tod am Ende sogar anfreunden?  Da müssten wir ja grundlegend unsere ganze Einstellung zum Leben ändern. Das Leben gilt uns gemeinhin doch als ein Kampf, eine Bewältigungsaufgabe. Warum können wir den Tod nicht eben auch bewältigen?

Die klerikalen Bevormundungen, wie wir sie in dieser Leitfrage noch zu analysieren haben, wurzeln letztendlich in diesem althergebrachten mythischen Bodensatz, hinter dem wiederum unser Vitaltrieb steckt. Du kannst diese Bevormundungen übergehen, eine solide Urteilsbildung ist dies dann aber nicht.

Betrachten wir das in Frage Stehende  noch einmal philosophisch-allgemein.  Wir reklamieren für uns in der Freitodfrage Autonomie und Selbstbestimmung und betrachten dies als ein Freiheitsrecht. Freiheit, Selbstbestimmung und Autonomie sind hohe Güter. Unumstritten sind sie gleichwohl nicht, und es ist auch die Frage, ob nicht den meisten Menschen Geborgenheit und Vertrauen  am Ende deutlich wichtiger sind. Freiheit vereinzelt, Geborgenheit macht abhängig. Welchen Weg willst du gehen?

Mit deiner Freitodentscheidung  stellst du dich  gegen den vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens, dass das Lebensende nicht in unserer Hand liegt, dass wir dieses Ende schicksalsergeben abzuwarten haben, dass wir auszuharren haben, dass wir aber hoffen dürfen und sollen –  dass wir irgendwie vertrauen sollen.

Du aber machst deinen alleinigen Willen geltend. Philosophisch überhöht und  auch etwas hingebogen könntest du dich damit rechtfertigen, dass man alleinig auch als ‚all-einig‘ interpretieren kann. Ein solches Wortspiel würde das Ganze zu dem antiken Vernunftbegriff  hin gleiten lassen, zu einer Teilhabe an der Logos-Vernunft. Ist doch ein überlanges Leben nicht logisch, vielmehr unvernünftig. Der Logos der Natur will die ständige Erneuerung.

Aber einsam macht dich deine Entscheidung gleichwohl. Wer nicht mit der Herde trottet, für den kann es ungemütlich kalt werden.  Wir wollen ja darauf hinarbeiten, dass sich die herrschende Meinung in der Freitodfrage endlich ändert. Und wir können da guten Mutes bleiben, das überlange Leben wird auf Dauer nicht zu halten sein, vieles an den gegenwärtigen Zuständen wird sich nicht fortführen lassen. Das zeigen dir schon ein paar simple Hochrechnungen.

Dennoch und noch einmal:  Als ‚wohlerwogen‘ kann ein Urteil (und dann die Entscheidung) nur gelten, wenn man zuvor bemüht war, die Gegenargumente an sich herankommen zu lassen. Das musst du dir schon zumuten. In Anbetracht der Ängste, die du ohnehin hast (s. Leitfrage 6) könnte es nämlich sein, dass diese Vorbehalte am Ende doch zuschlagen. Sie leben in dir, auch wenn du bequemerweise über sie hinweggehen möchtest.

Schau dir allein nur die Debatten um den § 217 an. Da fallen dann Sätze wie: „Sterbewünsche sind Lebenswünsche.“  Oder: „Gerade am Ende ist das Leben besonders schützenswert.“  Mit solchen Sätzen beschwören  ‚Lebensschützer‘ einen Lebensschutz ganz allgemeiner Art, echt paternalistisch.

Philosophisch gesehen gibt es „das“ Leben nicht. Leben ist immer einzelnes, konkretes Leben und dein Leben ist dein Leben. Der Rest ist Abstraktion.

Also gut, das eine ist dein Vitaltrieb, deine Lebenslust, dein Daseinshunger,  der entschiedene Wille, das Leben zu ergreifen und zu bewältigen. Das andere ist der Überbau, der mythologische, der religiöse, der ideologische. Er reicht tief hinein in unser historisches Geworden Sein und schlägt sich in unserem Gewissen nieder.

Horst