Zur LF 2 Freitodwille und die heftigen Suizideinwände

Diskursive Argumente gegen den Freitod gibt es kaum. Wohl aber gibt es gegen ihn mächtige Vorbehalte, stille Hintergedanken und abwehrende Gefühle. Viele von uns weigern sich ja, den Gedanken an den Tod, geschweige denn den an den Freitod, überhaupt an sich herankommen zu lassen. Und es gibt die Bevormundung seitens derer, die meinen es besser zu wissen, im Lager der Theologen und Mediziner vor allem.

Der Tod ist ein mit Angst und Furcht besetzter Archetyp; wir betrachten ihn gängiger weise nicht als einen Freund, er ist ein Feind, ein Feind des Lebens. Zahllos sind die Geschichten, in denen Gevatter Tod gebeten wird, er möge sich noch einmal davon schleichen.

Das ist verständlich und war wohl noch nie anders. Versetzt man sich in die  Lage der Menschen in der Frühzeit, in deren lange, lange Geschichte, der gegenüber unsere stolze Moderne eine historische Winzigkeit ist, lässt sich der Tod als eben jener brutaler Verlust des Lebens nachempfinden, der er ja auch war. Mit einer Lebenserwartung von kaum mehr als 30 Jahren zogen sie bekanntlich als Jäger und Sammler in kleinen Horden umher, und der Tod schlug wohl meist unverhofft zu. Tragisch für den/die einzelne(n), tragisch zumeist als schwerer  Verlust für die ganze Gruppe. Die ganz schwach Gewordenen ließ man allerdings notgedrungen einfach zurück.

So gut wie alle starben zu früh. Ein überlanges Leben, wie es heutzutage fast normal geworden ist, lag außerhalb aller Möglichkeiten. Auch heute noch ist das Leben ein Abbruch, es gibt kein ‚vollendetes‘ Leben, aber eine Lebensdauer von nur 30 Jahren uns als ‚normal‘ vorzustellen, ist doch fast unmöglich.

Das Leben und den Tod mit einer vornehmen Distanz zu betrachten, Abstand zu gewinnen und den Lebenskampf  auch in seinen lächerlichen Zügen zu sehen, war sicherlich unmöglich. Sie konnten nicht anders, als den Tod als einen übermächtigen Eingriff in ihr karges Leben zu sehen, sie mussten ihn mystifizieren.

Den eigentlichen Kampf mit dem Tod, mit dem Ziel, ihn in einem höheren Leben zu überwinden,  nehmen dann die großen Mythologien auf.  Der Tod darf nicht länger der Tod sein, er muss von einem Leben überwunden werden, das unauslöschlich ist, zumindest geistig und wenn irgend möglich auch durch ein irgendwie geartetes Weiterleben des Körpers. Der ägyptische Osiris-Kult ist ein eindrucksvolles Beispiel. Die Idee des ewigen Weiterlebens war nun da und blieb.

In der griechischen Mythologie ist Thanatos der Dämon des Todes, ein richtig böser. In dem von Euripides ausgestalteten Drama um Alkestis, kann erst der heldenhafte Herakles in einem großen Ringkampf dem Dämon Thanatos  das Leben des Atmetos wieder entreißen, ihm also ein Fortleben möglich machen. Der Tod erfährt also eine Negation seiner selbst. Die alten Griechen waren allerdings recht nüchterne Leute,  ihre Toten kamen unerlöst in den Hades, in das Schattenreich.

Das Christentum aber verspricht Erlösung. Es steigert das Weiterleben  in der Weise, dass eine moralische Zielvorstellung hinzu tritt. Eine Zielvorstellung für das Weiterleben nach dem Tod, der bereits das gesamte irdische Leben unterzuordnen ist.

Heutzutage wird in dem herakleischen Ringkampf mit dem Tod eine imposante medizinisch-technische Apparatur aufgefahren, mit Maschinen und Medikamenten. Diese Instrumentalisierung des Lebensendes, diese Verdinglichung des Kampfes mit Thanatos ist beeindruckend. Futuristen arbeiten bereits heftig daran, den Tod biologisch ganz abzuschaffen.

Und nun kommst du daher und reklamierst das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben für dich. Das passt nun aber gar nicht zusammen. „Was erlauben Strunz?“ war ein Ausspruch des ehemaligen Fußballtrainers  Trapatoni, der zu einem geflügelten Wort für ein freches und abwegiges Auftreten wurde.

Mensch, willst du dich mit dem Tod am Ende sogar anfreunden?  Da müssten wir ja grundlegend unsere ganze Einstellung zum Leben ändern. Das Leben gilt uns gemeinhin doch als ein Kampf, eine Bewältigungsaufgabe. Warum können wir den Tod nicht eben auch bewältigen?

Die klerikalen Bevormundungen, wie wir sie in dieser Leitfrage noch zu analysieren haben, wurzeln letztendlich in diesem althergebrachten mythischen Bodensatz, hinter dem wiederum unser Vitaltrieb steckt. Du kannst diese Bevormundungen übergehen, eine solide Urteilsbildung ist dies dann aber nicht.

Betrachten wir das in Frage Stehende  noch einmal philosophisch-allgemein.  Wir reklamieren für uns in der Freitodfrage Autonomie und Selbstbestimmung und betrachten dies als ein Freiheitsrecht. Freiheit, Selbstbestimmung und Autonomie sind hohe Güter. Unumstritten sind sie gleichwohl nicht, und es ist auch die Frage, ob nicht den meisten Menschen Geborgenheit und Vertrauen  am Ende deutlich wichtiger sind. Freiheit vereinzelt, Geborgenheit macht abhängig. Welchen Weg willst du gehen?

Mit deiner Freitodentscheidung  stellst du dich  gegen den vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens, dass das Lebensende nicht in unserer Hand liegt, dass wir dieses Ende schicksalsergeben abzuwarten haben, dass wir auszuharren haben, dass wir aber hoffen dürfen und sollen –  dass wir irgendwie vertrauen sollen.

Du aber machst deinen alleinigen Willen geltend. Philosophisch überhöht und  auch etwas hingebogen könntest du dich damit rechtfertigen, dass man alleinig auch als ‚all-einig‘ interpretieren kann. Ein solches Wortspiel würde das Ganze zu dem antiken Vernunftbegriff  hin gleiten lassen, zu einer Teilhabe an der Logos-Vernunft. Ist doch ein überlanges Leben nicht logisch, vielmehr unvernünftig. Der Logos der Natur will die ständige Erneuerung.

Aber einsam macht dich deine Entscheidung gleichwohl. Wer nicht mit der Herde trottet, für den kann es ungemütlich kalt werden.  Wir wollen ja darauf hinarbeiten, dass sich die herrschende Meinung in der Freitodfrage endlich ändert. Und wir können da guten Mutes bleiben, das überlange Leben wird auf Dauer nicht zu halten sein, vieles an den gegenwärtigen Zuständen wird sich nicht fortführen lassen. Das zeigen dir schon ein paar simple Hochrechnungen.

Dennoch und noch einmal:  Als ‚wohlerwogen‘ kann ein Urteil (und dann die Entscheidung) nur gelten, wenn man zuvor bemüht war, die Gegenargumente an sich herankommen zu lassen. Das musst du dir schon zumuten. In Anbetracht der Ängste, die du ohnehin hast (s. Leitfrage 6) könnte es nämlich sein, dass diese Vorbehalte am Ende doch zuschlagen. Sie leben in dir, auch wenn du bequemerweise über sie hinweggehen möchtest.

Schau dir allein nur die Debatten um den § 217 an. Da fallen dann Sätze wie: „Sterbewünsche sind Lebenswünsche.“  Oder: „Gerade am Ende ist das Leben besonders schützenswert.“  Mit solchen Sätzen beschwören  ‚Lebensschützer‘ einen Lebensschutz ganz allgemeiner Art, echt paternalistisch.

Philosophisch gesehen gibt es „das“ Leben nicht. Leben ist immer einzelnes, konkretes Leben und dein Leben ist dein Leben. Der Rest ist Abstraktion.

Also gut, das eine ist dein Vitaltrieb, deine Lebenslust, dein Daseinshunger,  der entschiedene Wille, das Leben zu ergreifen und zu bewältigen. Das andere ist der Überbau, der mythologische, der religiöse, der ideologische. Er reicht tief hinein in unser historisches Geworden Sein und schlägt sich in unserem Gewissen nieder.

Horst

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