Zu LF 5 Alterssuizid und Bilanztod

Wählen wir als erstes einmal die Heim-Perspektive. Nehmen wir an, du bist in einem Altenheim gelandet, zunächst vielleicht nur im betreuten Wohnen, dann in die ggf. angeschlossene Vollzeitpflege. Wie steht es nun um deine Unentbehrlichkeit?

Für die allgemeine Gesellschaft (s. die Rede vom ‚Gesellschaftsargument‘) wird dein Tod keinen Verlust mehr bedeuten, im Gegenteil, deine Kranken- und Pflegekasse wird sich freuen. Vom Oberbürgermeister deiner Stadt kommt bei runden Geburtstagen eventuell noch ein wie echt aussehendes Glückwunschschreiben.

Gesamtgesellschaftlich gesehen bist du in jedem Fall eine Last geworden. Je nun, und was die Rede betrifft, du seiest für deine Mitmenschen eben noch da, damit diese sich in Liebe üben  können – ein Argument, das gern auch religiös überhöht wird – so trifft das für das Pflegepersonal im Heim schon mal kaum zu.

Dort tun die Leute, so gut es eben geht, ihre Pflicht und sie verdienen ihr Geld damit. Überlastet und schlecht bezahlt werden sie in den Fortbildungen zudem dahingehend unterwiesen, auf eine „professionelle Distanz“ bei ihrer Arbeit zu achten. Das ist auch notwendig, denn die Alten klammern oft heftig.  Verbissen sind sie  oft  darum bemüht, liebevolle Zuwendungen erhalten. Besonders groß wird  der Druck auf die unmittelbaren Angehörigen. Liebe kann auch erzwungen werden.

Ab und an besucht dich noch ein Enkelchen und deine ebenfalls schon ziemlich alten Kinder tun für dich Notwendige, damit denn alles „insoweit klappt.“ Mag sein, dein perönlicher Fall liegt ganz anders, mag sein.

Jahrelang kaserniert im Heim, ist das nicht eine Horrorperspektive? Keine Seniorenbespaßung, wie sie ja stattfindet, kann darüber hinweg täuschen. Natürlich kannst du dich relativ frohgemut auf deinen übermächtigen Vitaltrieb stützen. Vielleicht sagst du, „solange ich noch Fernsehen und Schokolade essen kann, will ich weiterleben.“

Über das Demenzproblem (50% aller Heiminsassen) und das dort verabreichte medikamentöse Zwangskorsett (Psychopharmaka, Neuroleptika) wollen wir erst gar nicht reden. Die ganze Misere lässt sich leicht googlen und in YouTube- Clips ansehen. Der „Pflegenotstand“ ist zu einem gängigen Terminus in der politischen Debatte geworden. Aber wer will da schon genauer hinsehen?

Im Schnitt arbeiten ausgebildete Pflegekräfte in ihrem Beruf nur 10 Jahre. Dann sind sie ausgebrannt. 2030 werden in Deutschland 300.00 Pflegekräfte fehlen. Vielleicht hast du das „Glück, selbst des Öfteren selbst Heimbesuche zu machen. machen zu müssen. Aber auch, das, was bei den ambulanten Pflegediensten abgeht, ist oft eine Katastrophe.

Also beschließt du, dieses Leben rechtzeitig zu verlassen. Richtest du damit gesellschaftlich betrachtet einen Schaden an? Die Rede vom „Lebensschutz“, also von deiner und von einer gesellschaftlichen Verpflichtung, „das“ Leben auf Biegen und Brechen „zu schützen“  ist eine hergeholte Ideologie. So etwas muss man schon glauben, und die konkrete Realität sollten sich die Lebensschützer besser nicht ansehen. 

Der frühere Bundesminister Norbert Blüm, ein gläubiger Christ, sprach einmal davon, früher hätten die Menschen ein Gespür für ein soziales, rechtzeitiges Ableben gehabt. „Heute jammern sie sich bis 90 durch.“ Mittlerweile oft noch länger.

Ja klar, der Tod eines Menschen ist immer ein Lebensabbruch. Du wirst zu einem Trauerfall. Manche behaupten nun, ein Suizid sei für die Trauernden schwerer zu verkraften  als der ‚normale‘ Tod. Mag sein, aber weitgehend ist dies eine Spekulation auf dem Hintergrund  einer Gesellschaft, die den Suizid tabuisiert hat, ihn verdrängt und verachtet.

Von dem Traum Nietzsches, wir würden den Freitod feiern lernen, sind wir noch sehr weit entfernt. Aber der sozialen Bindung an deine Mitmenschen kannst du im Falle des Falles auch gerade dadurch gerecht werden, dass du dich als Last aufhebst. Die demographische Inflation hat keine Zukunft. In dem du mit deinem Freitod ein Beispiel gibst, erweist du der Gesellschaft einen letzten Dienst.  

Hier noch ein kleines Gedicht, das ich vor ca. 10 Jahren meiner fast 95jährigen Mutter schrieb und ihr ins Heim brachte, in einer Lebenslage voller Konflikte.

Du bist ganz alt, ganz schwach,

 nicht mehr Herr im Haus deiner Sinne.

Pflegedienste verwalten, höflich und bezahlt.

Durch Versorgungsmühlen gedreht

wird dein gebrechlicher Körper.

Was dir noch blieb, ist eine Last zu sein.

Wütend kämpft das Ego um anerkannte  Würde,

doch die Siege von früher zählen nicht mehr.

Es wird Zeit zu danken

für jeden Blick ins Tageslicht

und Zeit zu denken an jenen Ort,

wo alles nichtig wird, wo kein Sieger siegt,

wo demütiges Sein statt Haben wirkt.

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