Zur LF 4 Sterbewunsch und Todesangst

Du kannst Tod nicht? Verständlich, du hast das ja auch nicht geübt. Nahezu alles lässt  sich üben, das Sterben leider nicht. Buddhisten üben das Absterben des Intellekts, der Gefühle und der Triebe, das biologische  Sterben können auch sie nicht herbeimeditieren.

Bleibt uns also nur das Abwarten, Ausharren, Resignieren? Mitnichten. Sicherlich kannst du den Tod selbst nicht üben, aber du kannst dich vorbereiten, technisch und seelisch-geistig, also mit deinem Denken, Fühlen und Wollen. Energisch gilt es ein dickes Brett zu bohren ( vgl. auch LF 5 und LF 6). Und die Todesangst ist immer mit dabei, es macht keinen Sinn, sie zu verdrängen.

Alle reden sie vom guten, dem gelingenden Leben. Niemand spricht Klartext von einem guten, gelingenden Sterben. Im Tod einen Sinn zu sehen, in seiner Erlösungskraft, in seiner Dienstbarkeit für den Fortgang des Lebens, auch das bedarf einer Übung.

An einen guten, verlässlichen Freund:

Ganz nah bei mir

Ich suche ein schönes Bild von dir.

Worte sind so abgehoben.

Lachhaft-kindisch, dieser gut gemeinte Trost,

weil ein Gott es irgend so befiehlt.

wie er dir Majestät und Würde stiehlt,

als sei schon alles ausgelost,

Dieses kleine Gedichtchen habe ich vor ungefähr 12 Jahren geschrieben, ich war noch in den 60igern. Es war für mich ein erster Schritt, den Sinn des Todes zu ergreifen.

Die Frage nach dem Sinn ist für Philosophen eine vertrackte Frage. Die Theologen haben es da leichter. Der Sinn kommt von Gott, Gott ist die Ursache und damit die Legitimation für alle weiteren kausalen Ableitungen. Ja, das kausale Denken ist so hoch geschätzt – es beruhigt.

Wenn aber die heutige Philosophie als Ausgangspunkt allein den einzelnen Menschen setzt, das „Subjekt“, dann geht sie nicht mehr von einem „es ist“ aus. Sinn ist nicht, Sinn wird gemacht – von uns. Du bist es, der deinem Freitod Sinn verleiht, und dem geht ein abgewogenes Urteil voraus, sollte es vorausgehen. Wie dieses dein Urteil dann verallgemeinert werden kann, ist eine weitergehende philosophische Frage. Siehe dazu meinen längeren Text bei LF 2, ‚Ein kleiner demütiger Blick auf unser Erkenntnisvermögen.‘

Man kann es auch andersherum betrachten und formulieren: Du bist aufgerufen Selbstverantwortung zu wollen. In den vordemokratischen Gesellschaften war das anders. Verantwortlich für den Tod war Gott, oder in etwas säkulareren Worten, Fortuna und das Schicksal.

Ist Selbstverantwortung sinnvoll? Ach, doch nicht immer und nicht ausgerechnet in dieser einen Frage, magst du sagen. Also schiebst du diese Verantwortung weg von dir, schiebst sie zu den Ärzten und eben auch hin zu Fortuna. Du hoffst Glück zu haben. Wie das im Großen und Ganzen weitergehen soll, was aus der Gesellschaft insgesamt wird, kann doch nicht dein Problem sein. Das bekannte Floriansprinzip.

Aber es gibt halt dieses merkwürdige Alleinstellungsmerkmal. Du hast, wie du weißt, als einziges Lebewesen auf dieser Welt die Freiheit, selbstbestimmt zu sterben. Wirst du von dieser Freiheit Gebrauch machen, oder wirst du sie zurückweisen? Eine Freiheit tatkräftig und verantwortlich umzusetzen, ist unbequem.

Die Entschlusskraft zum Freitod kann also nur Schritt für Schritt in uns wachsen. Es ist wie das Laufen über eine jener tropischen Hängebrücken, die einen Fluss überspannen; wackelig und unsicher setzen wir einen Fuß vor den anderen, mal geht es ganz gut voran, mal bleiben wir ängstlich stehen und suchen Halt. Aber es geht voran. „Was wir in uns nähren, das wächst. Das ist ein ewiges Naturgesetz.“ (Goethe) 

Betrachten wir deshalb zunächst einmal einige der rationalen Gründe, die den Freitod als eine logische Konsequenz nach sich ziehen. Wenn wir uns unserem ‚Alleinstellungsmerkmal‘ verweigern, was dann?

Horst

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