ZU LF 2 (3) Der Lebensnachmittag

 Aus dem Lebensabend ist für uns Alte ein Lebensnachmittag geworden.  Man pflegt die Frühverrentung zu wählen und nach einer kurzen Umstellung  stellt sich der Müßiggang als Gewohnheit ein. Außerdem locken die zahlreichen Angebote unserer Eventkultur,  und die schönen  Reisen kommen als Sahnehäubchen obendrauf. Ein schönes,  reiches, erfüllendes Leben ungeachtet einiger Gesundheitsprobleme. Auf ein solches Leben habe man ja nun auch einen Anspruch.

Sicherlich trifft diese Beschreibung nicht auf alle Alten zu, aber verglichen mit der Agrargesellschaft, wo die Alten sich zwar auch  ‚zur Ruhe setzten‘, aber im Rahmen ihrer Kräfte immer noch ihre Aufgaben und Arbeiten auf dem Hof hatten,  bedeutet der Schritt in die Verrentung im System der Industriegesellschaft zumindest pekuniär eine völlige Freisetzung. Und diese wird genossen, warum auch nicht.

Neuerdings hat dies einmal einen zeitgenössischen Philosophen nachdenklich gemacht. Der Schweizer Ludwig Hasler, selbst 75 Jahre alt, kam zu dem Urteil: „25 Jahre Ausruhen sind eine bescheuerte Perspektive.“

Es sei ein Leben nach der Devise, „jetzt oder nie“. Dies habe sicherlich auch mit der schwindenden religiösen Bindung  an das Christentum zu tun. Im christlichen Glauben  kommt ja das Beste, die ‚Erlösung‘,  erst nach unserem Tod, nach dem Verlassen des irdischen Jammertals. Das muslimische Jenseitsversprechen ist bekanntlich noch schöner und saftiger.

Entfällt nun dieses Jenseitsversprechen, entsteht besonders für die Alten eine Zukunftsperspektive, die sich unmittelbar nur noch auf ihr hiesiges Leben beziehen kann. Das Leben als andauernde Sorge (Heidegger) steht nun aber nicht mehr im Vordergrund. Die Alten fokussieren sich auf das Gegenwärtige, wissend dass ihre Zukunft schrumpft. Sie geraten unter den Druck, aus diesem einen, schrumpfenden Leben, noch möglichst viele Annehmlichkeiten,  möglichst viele Erlebnisse, möglichst viel ‚Glück‘ herauszuholen, eben jetzt oder nie mehr.

Der Tod soll warten, am besten bis zum Nimmerleinstag. Das Feeling für die Zeit des Sterbens haben wir verloren.      

Eine Antwort auf „ZU LF 2 (3) Der Lebensnachmittag“

  1. Nur kurz:
    Es gibt aber auch, so hat es wohl Cicero formuliert, die Möglichkeit im Alter (und das auch nach als Rentner), und das als einzige Möglichkeit das Alter sinnvoll zu bewältigen, statt „Arbeiten“ sinnvoll Tätig zu werden. Es gibt vielerlei Beispiele, wie Menschen bis ins hohe Alter Ehrenämter, Forschungen, Kunstaktivitäten etc. betreiben und dabei sehr nützliche Arbeit verrichten bzw. Erfüllung finden.
    Den Sinn eines befriedigenden Lebens im Alter müssen wir uns selbst geben, indem wir sinnvolles tun.

    Zugegeben: einfach nur Annehmlichkeiten, schöne Erlebnisse und möglichst viel „Glück“ herauszuholen, dürfte kaum wirklich befriedigen. Wohl deshalb verlangt solch ein Leben dann immer mehr davon, gerade weil es nicht befriedigen kann.

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