LF 3 (2) Den Tod entdramatisieren

Der Verstand steht still. Er kann den Tod nicht erklären. Weit öffnet sich der Horizont für mythische Vorstellungen. Die Bannkraft des Mythos nimmt uns gefangen.
Indes, die große Frage ist nicht die nach dem Tod. Was wir geistig zu bewältigen haben, ist konfrontiert zu sein mit unserer Endlichkeit. Wenngleich in dieser Endlichkeit unseres Lebens auch Trost gefunden werden kann, so tritt sie uns doch als ein Schrecken entgegen. Und diesen Schrecken projizieren wir auf den Tod.
Epikurs Argument gegen die Todesangst mag zwar ein rational verkürztes Argument sein, aber es trifft. Nach Epikur geht uns der Tod ja deshalb nichts an, weil der Tod nicht da ist, solange wir da und am Leben sind.

Dies entspricht auch unserem Alltagsgefühl in einer ersten Unmittelbarkeit, Gevatter Tod ist doch weit weg. Sind wir dann selbst aus dem Leben weg, weil Gevatter Tod da ist, wissen und spüren wir nichts mehr. Hier noch zwei Folgezitate zu Epikurs Auffassung:  Epiktet meinte gelassen: Der Tod ist nichts Schreckliches. Nur die fürchterliche Vorstellung vom Tod macht ihn furchtbar.“ Und ganz im Gefolge Epikurs formulierte  Ludwig Wittgenstein: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“
Über unsere Endlichkeit, über das Faktum, dass wir nur über eine deutlich begrenzte Lebenszeit verfügen, uns aber gleichzeitig wünschen ewig zu leben – darüber sollten wir reflektieren, nicht über den Tod selbst. Der Tod ist letztlich ein belangloses Ereignis. Diese seine Kontingenz und Belanglosigkeit konnte Michel de Montaigne sehr plastisch verdeutlichen.
Sich mit der Begrenztheit unseres Lebens auseinander zu setzen, führt demgemäß zu keiner Todesphilosophie, sondern hinein in eine Philosophie der Lebenskunst. Wie lässt sich ein begrenztes Leben, eingeschlossen das notwendige Sterben gestalten? Auch hierbei erweist sich Montaigne als ein guter Ratgeber, wenn er sinngemäß ausführt, nahezu gottgleich wären diejenigen, die ihr kleines Leben auf die rechte Weise zu gestalten und zu genießen wissen.
Also kein heideggersches ‚Vorlaufen zum Tode‘, keine existenzialontologische Vertiefung der Todesangst, sondern ein besonnener, ruhiger Blick auf unser je eigenes Leben und unsere begrenzte Lebenszeit.
Der Tod bleibt dabei, was er von jeher ist; ihn selbst können wir nicht gestalten. Es ist eine Frage der Lebenskunst, ein Einverständnis mit unserer begrenzten Lebenszeit, mit unserer Sterblichkeit, mit dem Tod aufzubauen.
Wieviel Selbstverantwortung für dein Leben und dein Lebensende bist du bereit, auf dich zu nehmen? Kannst du dich distanzieren, vom gängigen gelebt werden, vom gestorben werden, von deinem Ego und seinem unbändigen Lebenstrieb?
Menschen sind eitel, und die Religion mit ihrer Rede von der Krone der Schöpfung bestärkt uns darin. Aber haben Menschen wirklich ein besonderes, ein „ewiges“ Leben? Sterben wir einen besonderen Tod?
Wenn wir unser Menschsein über jedes Maß wichtig nehmen, wenn wir unser Menschsein stilisieren, werden wir auch unseren Tod hochstilisieren. Es stirbt da aber keine hochbesondere ‚Person‘ im Sinne Kants. Es stirbt da nicht das Dasein einer ‚Existenz‘ im Sinne eines unhintergehbaren Seins im Gefolge der Existenzphilosophie von Kierkegaard, Jaspers, Heidegger, Sartre. Es stirbt ein Lebewesen einer Spezies, die mit wachsender Tendenz derzeit bereits mit 7,7 Milliarden Exemplaren die Erde bevölkert.
Jedes Lebewesen, ob Pflanze, Mensch, oder Tier, hat sein je eigenes Lebensende. Das ist alles sehr weise so eingerichtet in seiner Individualität und Gemeinsamkeit. Ein beeindruckendes Zusammenspiel von vielfältigem Werden und Vergehen. In Ruhe betrachtet gibt es keinen Grund, unseren individuellen Tod aufzubauschen.
Die weise Mutter Natur hat es so eingerichtet. Wenn wir lernen, dies demütig zu akzeptieren, können Vertrauen und Trost in uns wachsen. „Die Gesetze der Natur lehren uns, was wir wirklich brauchen … mit dem, was die Natur fordert, versorgt sie uns auch.“ (Montaigne, 3. Buch, Essay 10)
Es kostet eine gewisse Überwindung, die Einfachheit wieder zu entdecken. Nicht sich selbst stilisieren, nicht den Tod mythologisieren, sich nicht selbst belügen, ehrlich werden, sich nichts vormachen. Wir sollten die Frage nach der Lebens- und Sterbekunst nicht zu hoch hängen. Einfach anständig bleiben und sterben können.
Der Tod kann schön sein und er hilft uns für ein sinnvolles Leben. Die Schönheit des Todes, jenseits von Pomp und Heldenverehrung kann jede(r) für sich entdecken, sobald er/sie sich nicht mehr ans Leben einfältig anklammert. „Der Tod und die Schönheit sind zwei tiefgründige Dinge, die ebenso viel Schatten wie Licht in sich tragen.“ (Viktor Hugo) Es gibt keine Schönheit ohne Zerfall, und wer hat nicht schon die Schönheit des Morbiden erfahren?
Schließen wir die Gedanken zu einer Entdramatisierung des Todes und Freitodes ab, indem wir uns die Tugend der Einfachheit heilsam bewusst machen. André Comte-Sponville, Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben, dt. 2010, hat darüber einen schönen Text geschrieben.
So hochkomplex und materialüppig wie unser industrialisiertes Leben geworden ist, fällt es uns natürlich schwer, die Einfachheit wieder zu entdecken. Etwas Einfaches ist zum Beispiel der Tod. Einfachheit ist nicht Vereinfachung. Die Einfachheit „ ist das Leben ohne Geschichten und Lügen, ohne Übertreibung, ohne große Geste. Sie ist das unscheinbare Leben, sie ist das wahre Leben.“ (Comte-Sponville, S. 188)
Sinnvoller Weise gilt dies auch für den Tod. Ihn in seiner Einfachheit zu begreifen, ist eine Anforderung an unsere Lebenskunst, an unsere Sterbekunst. Einfachheit ist nicht Einfalt. „Intelligenz ist die Kunst, das Komplizierte auf das Einfachere zu bringen, nicht umgekehrt … frei zu werden, statt sich blenden und einengen zu lassen.“ (Comte-Sponville, S. 190/91) Dabei brauchen wir keinen Paternalismus. Hilfreich kann indes ein inneres Lächeln sein.

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