LF 4 (7) Friedrich Nietzsche ermuntert zur Tapferkeit

In dem kleinen Beitrag unmittelbar vor diesem hier (LF 4 (6) ‚Wiedergeburt‘) wurde die naturalistische Sicht auf den Tod thematisiert. Eine Sichtweise, die der theologisch-metaphysischen Auffassung vom Tod und einem Danach deutlich entgegensteht. Gott ist hier nicht mehr im Spiel, Vorstellungen von einer Erlösung in ein ewiges und seliges Leben (oder die Furcht vor einer bleibenden Verdammnis und Hölle) gelten in einer naturalistischen Sicht als irreführende Mythologie.
Eben diesem Naturverständnis entspricht auch die Denk- und Vorstellungswelt Friedrich Nietzsches, dem Wortschöpfer der Rede vom freien Tode, der Rede vom Freitod. Nietzsches Welt ist eine Welt ohne jede himmlische Perspektive. Zugleich aber ruft er dazu auf, nicht nihilistisch-resignativ zu reagieren, dass Gott nun tot ist. Ihm steht dabei ein ‚Übermensch‘ vor Augen, trotzig und entschieden im Leben sich bewährend, sowie stark in seinem Sterben.
Sich vehement gegen die Tradition der christlich-abendländischen Philosophie zu stellen, den Heroismus der Antike wiederzubeleben und ein Grundgefühl für das archaisch-dionysische Sein erneut zu erwecken, darauf kam es dem Professor für Altphilologie Friedrich Nietzsche an. Er wollte die Selbstverwirklichung der Besten. In neuerer Zeit hat Botho Strauss mit seinem ‚Anschwellenden Bocksgesang‘ wortstark das dionysische Starksein hervorgekehrt.
Die Rede „Vom freien Tode“ aus dem Zarathustra-Buch muss hier nicht noch einmal angeführt werden. Sie ist vielfach abgedruckt worden und zumindest allen Nietzsche-Lesern wohlbekannt. Nietzsches Diktum lautet, „Stirb zu rechten Zeit!“ Halte nicht fest an einem überlangen Leben.
Den Verzweiflungssuizid aber, oder eine Selbsttötung aus einem resignierenden Lebensüberdruss wollte er nicht als angemessen gelten lassen. Nietzsche verstand sich als ein Prediger des Lebens, in das er den Tod ganz und gar eingebunden sah.
Das Leben sei Leiden, gewiss, aber nur Feiglinge laufen vor diesem Leidensdruck davon. Wer von seinem Leben davon läuft, wer sagt, das Leben sei doch im Grunde überhaupt nicht wert zu leben, wer aus dem irdischen ‚Jammertal‘ fliehen will, ein erlösendes Jenseits sucht, ist für Zarathustra ein Prediger des Todes.
In der nämlichen Zarathustra-Rede, „Von den Predigern des Todes“ wird deshalb allen, die das Leben nicht so annehmen können, wie es nun einmal ist, die verachtende und zynische Empfehlung gegeben: dann macht euch doch davon. – Möglicherweise bleiben dann allerdings für den heroischen Freitod nur wenige übrig.
Die naturalistische Sicht auf den Tod vermochte Nietzsche kurz und prägnant so zu formulieren: „Der Tod ist nicht der Feind des Lebens, sondern das Mittel durch welches die Bedeutung des Lebens offenbar gemacht wird.“ Mit seinem Freitod verbeugt sich also der Mensch vor dem gewaltigen Horizont des ganzen Lebens aus Geburt, Dasein und Tod. Wer das Leben in seiner Ganzheit bejaht, sollte lernen, seinen Tod zu lieben. Todesfurcht hat nach Nietzsche nur der Kleingeist.
„Der Tod wird erst furchtbar durch den Hintergrund, den man ihm gibt. Wie die Liebe eine beseligende Traumwelt, so erzeugt die Furcht eine höllische Traumwelt. Der irregeleitete Verstand erzeugt die Schrecken. Man soll den Tod nicht überwinden, wohl aber bestehen lernen.“ (Nietzsche) Dieser Aufruf zur Tapferkeit klingt allerdings für weniger Heldenhafte nicht gerade begeisternd und auch wenig trostreich.
Es gibt aber keinen himmlischen Trost mehr. Die Erde gilt allerdings auch nicht länger als ein Jammertal. Es gelte, sich auf dieser Erde des Menschen zu beheimaten. Montaignes Stärke des tapferen Annehmens und sein starker Wille unser Leben, so wie es ist, zu lieben, sah Nietzsche als vorbildlich an. In diesem Sinne formuliert auch Khalil Gibran: „Geburt und Tod sind die beiden edelsten Ausdrücke der Tapferkeit.“
Trost und Einverständnis findet in dieser Perspektive nur der, der sein Leben und Sterben nicht mehr aus der verengten Sicht seiner eigenen, vorübergehenden Individualität sieht. Wenn du dich aufgehoben fühlst im Fluss – man denke an Hermann Hesses Sidharta – wenn du dein kleines Leben nicht mehr so wichtig nimmst, dann wirst du stark wie ein Baum. Eine durchaus unchristliche Einstellung.
Eine schöne Formulierung, die in diese Richtung weist, findet sich bereits 1769 bei Denis Diderot: „Das Bewusstsein und das Leben sind ewig. Alles was lebt, hat immer gelebt und lebt ohne Ende. Der einzige Unterschied, den ich zwischen dem Tod und dem Leben sehe, ist, jetzt leben sie als Ganzes, und in zwanzig Jahren in Moleküle aufgelöst und zerstreut, sozusagen stückchenweise.“
Für das 18. Jahrhundert waren das mutige Sätze, wenn man beispielsweise bedenkt, welch kirchenfromme Positionen zum „Selbstmord“ damals Immanuel Kant vertreten hat (vgl. LF 2 (7)).
Sobald du mit den konkreten Vorbereitungen für deinen Freitod beginnst, wirst du die Rede von der Tapferkeit ernst nehmen. Hier am Beitragsende noch einige Sätze von Rainer Maria Rilke:
„Jetzt heißt es … den Tod … zum Leben hinzuzunehmen, als ein nicht mehr Abzulehnendes, nicht länger Verleugnetes. Reiß es an dich, dieses Entsetzliche. … Geh mit dem Tod um, oder halt wenigstens still, so dass er ganz nahe kommen kann, das immer verjagte Wesen des Todes, und sich dir anschmiege.“

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