LF 2 (9) Das Gesellschaftsargument

LF 2 (9) Das Gesellschaftsargument

Neben der theologisch-klerikalen Position zum Suizid und der Sterbehilfe sind es eben auch die säkularen Einwände gegen das selbstbestimmte Sterben, die es zu bedenken gilt. Die kirchliche Argumentation bezieht sich ja auf eine eher abgehobene, übermenschliche Ebene. Über allem stehe ein (tabuisierter) „Lebensschutz“, wie ihn der außerweltliche Gott verfügt habe. Eine Verbindung zum Gesellschaftsargument gibt es allerdings insofern, als dieser ferne Gott uns in unsrem irdischen Leben auf einen „Wachposten“ gestellt habe, auf dem wir in jedem Falle bis zu unserer Abberufung auszuhalten haben.
Die Rede vom Wachposten überschneidet sich mit dem Gesellschaftsargument. Letzteres verweist auf unsere Pflichten als Eingebundene in einen sozialen Zusammenhang. Sich diesem Gesellschaftsauftrag, diesem Lebensauftrag durch einen selbst herbeigeführten Tod zu entziehen, sei ein schwerer Bruch mit dem Sittengesetz und unserer Gesellschaftsordnung. Das hört sich schwergewichtig an, und der konkrete Lebensbezug ist ja auch klar gegeben.
Beginnen wir mit einem typischen Zitat: „Würdevolles Sterben bedarf neben einer persönlichen Auseinandersetzung vor allem einer gesellschaftlichen Haltung.“ (Dr. Anja Schneider, stellvertr. Vors. Des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes.)
Unsere Würde wird hier verstanden nicht nur als ein Individualrecht und Schutz der Persönlichkeit (vgl. GG Art. 1), sondern als eine besondere „Haltung“ der Gesellschaft gegenüber, in der wir leben. Mit „Haltung“ kann nur eine charaktermäßige Tugendhaltung gemeint sein, wohl im Sinne der Hexis bei Aristoteles. Die Würde wird zu einem Tugendauftrag. Du hast deinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen und in Würde durchzuhalten.
Würde wird hier also verstanden primär nicht in der Tradition der ehemals rebellischen Menschenrechtsbewegung, nicht im Sinne einer Emanzipation hin zu einem Selbst und seiner eigenständigen Bestimmung, sondern als eine tugendhafte Dienstbarkeit gegenüber der Gesellschaft unserer Mitmenschen bis hin zu dem am Ende unausweichlichen Tod. Neben den Würdebegriff als einem Persönlichkeits- und Schutzrecht tritt ein Würdebegriff als einem Kriterium für gute und richtiges Tun und Lassen.
Natürlich sollte ich bei allen meinen Handlungen darauf achten, Anstand und Würde zu bewahren. Zumindest bezogen auf die Familie ist dann beim Freitod eine abwägende Rücksichtnahme angebracht und lebensnah. Mit Anstand und Würde seine Pflichten der Dienstbarkeit zu tragen, darauf käme es an. Viele Todesanzeigen spiegeln dies in ihren Texten dies so ja auch wider.
Wie weit aber kann dieser Tugendansatz gedehnt werden? Lässt sich das Tabu der Selbsttötung und die heutige künstliche Lebensverlängerung damit rechtfertigen? Blicken wir kurz auf die geschichtliche Herkunft dieser Denkweise.
In unserer steinzeitlichen Frühgeschichte war der Verlust eines Horden- Mitglieds oft sehr bitter. Andererseits wurden die Alten und Schwachen einfach zurück gelassen. Im Grunde ist die Lage heute noch genauso. Welche Alten sind noch von Nutzen, und welche sind nur noch eine Last? Heute können sich indes nur die unmittelbaren Angehörigen diese Frage stellen. Die ‚Gesellschaft‘ kann dies nicht mehr.
Diese unsere durchbürokratisierte Versorgungsgesellschaft von heute ist nicht mehr in der Lage, sich diese Frage vor Augen zu führen. Sie folgt ihrer anonymisierten Eigendynamik. Und der Versorgungsapparat und die in ihm Tätigen spulen schlicht das ab, was sie abspulen können.
Eine zweite historische Wurzel der Auffassung von der Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft, eine Verpflichtung, die jeden Gedanken an einen Freitod ausschließen würde, ist sicherlich in der alten Symbiose von Kirche und Staat zu suchen, wie sie sich im Mittelalter herausgebildet hat. Die Kirche erklärt den ‚Selbstmord‘ zu einer Sünde gegenüber Gott und dem uns von ihm erteilten Lebensauftrag; der Staat erklärt gleichgesinnt und dementsprechend einen solchen ‚Selbstmord‘ zu einem Verbrechen, das strafrechtlich zu ahnden ist. In England war dies so bis ins 20. Jahrhundert hinein. Der Selbstmörder, die Selbstmörderin, verging sich gleichermaßen gegen Kirche und Staat.
Letztlich bleiben wir immer in der Frage: wer darf über das einzelne Leben verfügen? Die Kirche, mit Gott im Rücken, betonte und betont ihr Verfügungsrecht, aber auch der Staat sah und sieht sich als Verfügender.
Der Staat gewährt und sichert, soweit möglich, das Leben seiner Staatsangehörigen, er hat aber auch das Verfügungsrecht über eine vorzeitige Lebensbeendigung, z. B. bei Kampfhandlungen. Die Kirche betont die Verpflichtung zu einer lebenslangen Dienstbarkeit mit dem Wachpostenargument, der Staat versteht sich als der Souverän in der Frage von Leben und Tod. Er soll zwar das Einzelleben schützen (vgl. GG Art.2 und Art. 6), darf es gegeben Falls aber auch in Anspruch nehmen und verwerten.
In einer Gesellschaft, die ganz ausgerichtet ist auf ein umfassendes Funktionieren, wie unsere heutige, kommt ein Weiteres hinzu. Für diese unsere homo-faber-Gesellschaft wird der Tod zu einem Betriebsunfall. Das Ausfallrisiko wird verarbeitet mit Hilfe eines imposanten Vorsorge- Reparaturbetriebs (Sozialkassen und Gesundheitsvorsorge, Kliniken, Ärzte und Psychiater). Der Tod ist kein Schicksalsschlag mehr, er ist für den Reparaturbetrieb eine Beleidigung.
Als Staats- und Betriebsangehörige dürfen wir zwar durchaus eine eigene Meinung und auch einige Sonderinteressen haben, in der Suizidfrage gelte aber die Selbstbestimmung nicht. Eine solche Sichtweise lässt sich bis hin zu Aristoteles zurückführen. Nach Aristoteles hat der Mensch, insofern er sich als eine eigenständige Person versteht, durchaus das Recht zu einem Suizid. Weil er aber keine isolierte Einzelperson ist, sondern ein gesellschaftlich gebundenes Wesen, hat er dieses Recht dann wiederum nicht. Seine gesellschaftliche Verpflichtung verbietet es, sich dem Gemeinwesen durch einen Selbstmord zu entziehen, sie stehe über der Freiheit des Einzelnen.
Immanuel Kant hat diese Denkweise noch weiter hochgeschraubt. Wer Selbstmord begeht, folgt allein seiner egoistischen Neigung. Über jeder unserer Neigungen steht nach Kant aber ganz normativ-grundsätzlich unsere allgemeine gesellschaftliche Pflicht. Dies sei zugleich auch eine Pflicht gegenüber uns selbst als einer gesellschaftlich gebundenen Person. Diese „Person“, die der Mensch wesenhaft sei, könne nur eine verpflichtete Person sein.
So wird der Freitod dann zu einer „Verletzung seiner Pflicht gegen sich selbst.“ Man mag diese begriffsrationalistische Deontologie, diese Mischung aus einer Tugend- und einer Pflichtethik, bewundern oder auch nicht. Vgl. zu Kant auch LF 2 (7).
Lebensnäher philosophierte David Hume, vgl. LF 4 (2) und LF 2 (2). Hume hielt wenig von nur kognitiven Prinzipien und dogmatischen Vorgaben. Er war ein Vorläufer des Pragmatismus und hatte seinen Blick vor allem und vorab auf unsere Gefühle gerichtet.
Die Verpflichtung auf ein unbedingtes Weiterleben Müssen empfand Hume als grausam. Das ganze „Gesellschaftsargument“, bezogen auf die Suizid-Frage, hielt er für abwegig und realitätsfern.
Aber Ängste und Bedenken sind in uns stets vorhanden, und das Gesellschaftsargument kann diese durchaus verstärken. Zum Beispiel bei dem sehr angesehenen Gegenwartsphilosophen Robert Spaemann. Ihn sollten wir doch en passant aufgreifen, weil er so drastisch von solcherlei Ängsten besetzt ist.
Spaemann ängstigt vor allem das auch ansonsten viel beschworene „Dammbruchargument“. Unsere Gesellschaft werde großen Schaden erleiden, wenn sie die Selbsttötung auch nur ansatzweise zulässt. Am Ende – so die Befürchtung – wird eine Lawine von Suiziden unsere Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern.
Etwas vertrackt formuliert das Spaemann so: „Dass der Selbstmord moralisch geächtet bleibt, ist für die menschliche Gemeinschaft von größter Wichtigkeit. Denn wenn es eine sozial akzeptierte und institutionell ausgestattete Möglichkeit ist, wird es unmöglich sein zu verhindern, dass daraus eine Pflicht wird, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, um den anderen nicht zur Last zu fallen.“ (Siehe Spaemann in www.zeit.de/2015/07/Sterbehilfe)
Noch dräuender und prägnanter hatte es Ludwig Wittgenstein formuliert. „Wenn der Selbstmord erlaubt ist, ist alles erlaubt.“ Eine solche Drohung ist natürlich blanker Unsinn.
Robert Spaemann malt sich nun eine institutionalisierte Kette von „Totenhäusern“ aus, in denen dann die Ärzte nur noch die eine Frage stellen: „Ist es ihr freier Wille, getötet zu werden?“ Dies gilt ihm als eine Horrorvorstellung. Der moralische und der rechtliche (wieso?) Zusammenbruch der Gesellschaft ist dann nach Spaemann vollzogen. Für ihn fügt jeder mors voluntari dem Gemeinwesen einen irreversiblen Schaden zu.
Diese Betrachtungsweise lässt sich in einer allerdings auch umkehren, indem man die Befreiung von eben dieser Gesellschaft und ihren Lebenszwängen zu seinem obersten Ziel erklärt. Er/sie sucht dann den Abschied von diesem Zwangssystem, weil es ihm/ihr unerträglich wurde.
Jean Améry (s. u. a. www.spiegel.de) hat wortgewaltig diese existenzialistisch-heroische Position vertreten. Auch Seneca (vgl LF 6 (2) ) hatte ja betont, der/die Einzelne dürfe mit dem mors voluntari sich von einer ungerechten, ihn bedrückenden Gesellschaft befreien.
Améry: „Ich glaube eben auch, dass der Freitod als Akt der Befreiung unabhängig ist von Gesellschaftsformen. Ich kann mir keine Gesellschaftsform denken, die nicht Zwang im Sinne der Lebenslogik bedeuten würde. Was will denn der Suizidär? Er will nun einmal keine Ziele mehr haben, außer dem einen, dieser Bekräftigung des (seines) Freiheitsakts.“
Gerade wer die beiden Bücher von Amèry hierzu liest (Über das Altern, Revolte und Resignation, sowie, Hand an sich legen, beide verlegt bei Klett-Cotta) sieht das Dammbruchargument schwinden. Freitod-Heroen wie Jean Améry mit ihren anarchistisch-existenzialistischen Motiven werden immer eine sehr, sehr kleine Minderheit bleiben. Es ist eben dann doch nicht so leicht, sich von der Herde zu trennen, und Améry tat sich mit seinem Suizid auch entsprechende schwer.
Ohnehin, also ganz ohne Helden, lässt sich das Dammbruchargument mit Zahlen keineswegs belegen. Die Zahl derer, für die in der BRD der § 217 gemacht wurde, also die möglichen ‚Kunden‘ von Dignitas, Arnold, Kusch, Puppe …, beträgt geschätzt nach Puppe ohnehin nur maximal 1000 oder 2000, eine verschwindend geringe Zahl bei einer Bevölkerung von 80 Millionen.
In den Ländern, in denen die Sterbehilfe liberalisiert wurde, Belgien, Holland u.a., ist ein solcher Dammbruch ja auch keineswegs eingetreten. Die Zahlen zur Sterbehilfe und zum Suizid blieben deutlich unter einem Prozent. Die allermeisten, die sich eine Sterbehilfe wünschen, stehen zudem vor einem Verzweiflungssuizid, weil ihnen ihre körperliche Verfassung im Grunde ein Weiterleben in Würde nicht mehr ermöglicht. Freitod-Heroen sind sie kaum.
Ein undifferenziertes Beharren auf einer Autonomie und dem Selbstbestimmungsrecht ist unangemessen und rechtlich so nicht gegeben. Stets lebt der Mensch als Individuum zugleich in sozialen Zusammenhängen, die z. B. Viktor Niculescu, (Selbstbestimmtes Sterben, 2019) ganz aus dem Blick verliert. Er sieht sich allerdings im Gegensatz zu Améry auch nicht als ein Rebell gegen die Gesellschaft.
Summa sumarum ist es eben so, wie es in unserem Grundgesetz auch zum Ausdruck kommt. Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Individualrechten als gegebenen und legitimen Schutzrechten gegenüber der Allgemeinheit und unserer moralischen, sozialen und rechtlichen Obliegenheit gegenüber den unmittelbaren Angehörigen und dem Gemeinwohl insgesamt. Zwischen diesen beiden Polen gilt es abzuwägen und zwar immer im konkreten Einzelfall.
Die Selbsttötung kann eine egozentrische Flucht aus der sozialen Verantwortung sein. Mit zunehmenden Alter aber vermindert sich diese. Wo erfülle ich denn trotz meiner Einschränkungen und diversen Leiden noch eine soziale Aufgabe? Oder bin ich nur noch eine Last? Ein Opfergang ist der Suizid wie jeder andere Tod eben allemal; für einen selbst und für das ganze soziale Umfeld.
Bleibt die Frage, wer soll denn letztendlich entscheiden und nach welchen Gesichtspunkten? Die Antwort kann nur lauten: allein der Suizident selbst. Sie/er wird sich mit sich beraten, auch beraten lassen, sich umfassend informieren etc.
In der allgemeinen Diskussion zweigt sich hier am Ende nur ein fortwährend herumgereichtes Kriterium: es könne angemessen sein, das Leben zu beenden, wenn es „unerträglich“ geworden ist. Was aber kann „unerträglich“ bedeuten? Können Ärzte, Psychiater, oder gar klerikal ausgerichtete Berater hierüber wirklich befinden? Thomas Nagel und sein Fledermaus-Argument kann einem dabei in den Sinn kommen. Auch der/die Betroffene kann am Ende nur eine gefühlsmäßige Entscheidung treffen.
Wie sehr eine Gesellschaft die Suizide, wie sie in ihr vorkommen, auch ganz säkular als eine Beleidigung auffassen kann, zeigte sich in der damaligen DDR. Moralisch und religiös wurde der Suizid als solcher nicht bewertet. Gleichwohl wurde das ‚Selbstmörder‘-Tabu ganz traditionell aufrechterhalten. Die Selbstmörder wurden als Kritiker am System und seinem gloriosen Zukunftsentwurf eingestuft. „Das seit Jahrhunderten geltende Suizidtabu wurde in der DDR politisch überformt.“ (Anne Waak, Der freie Tod .. 2016)
Betrachten können wir das alles auch unter dem Gesichtspunkt der Demut. (H. O. Leng; Die Dimensionen der Demut, 2015) Es gibt eine Demut des Dienens. Platon hat sie wohl als einer der ersten hochgehalten. Es gibt ebenso auch eine Demut der Unterwerfung und zwar im religiösen evtl. auch ideologischen Bereich. Nur fragwürdige Egozentriker werden die Demut des Dienens für sich ablehnen. Fragwürdig bleibt aber auch die konkrete Handlungsrelevanz einer Demut des Unterwerfens mit ihrer religiösen Wurzel. Werden Freitod wählt, wird zwischen seinen eigenen Gründen und seiner sozialen Bindung,  insoweit eine solche noch besteht, abgewogen haben.

LF 8 (2) Kleiner Naturwiss. und Technik Talk

Wir favorisieren hier die Methode der Hypoxie (siehe unten). Die einschlägige Literatur zu Hypoxie widmet allerdings der Anreicherung von Kohlendioxyd, CO2 , im Blut, der sog Hypokapnie, kaum Aufmerksamkeit. Deshalb soll hier mit diesem Problem begonnen werden. Zunächst blicken wir auf die Gefahrenseite.
DIE HYPOKAPNIE
Sie ist eine Übersäuerung des Blutes durch zu viel Kohlendioxyd. Die Folgen: Zittern (Tremor), Blutdruckanstieg, Schwindel, Herzrasen, Krampfanfälle, Panik, narkotische Bewusstlosigkeit, schließlich der Tod durch Atemstillstand, herbeigeführt durch eine CO2-Übersäuerung im Blut. Der Tod kann dagegen auch durch eine Hypoxie (siehe dazu unten) durch das Fehlen von Sauerstoff im Gehirn eintreten. Und das viel sanfter.
Die angepeilte Exit-Methode soll deshalb das Ausschalten der Sauerstoffzufuhr ins Gehirn durch das Einatmen eines inerten Gases sein, wobei weiter ausgeatmet wird, um das CO2 los zu werden. Das geht aber nicht so einfach. Denn in dem zu benutzenden Exit- Bag, oder der Maske, sammelt sich das ausgeatmete CO2 erst einmal an. Es fällt aus der vorgesehenen Öffnung im Bag oder der Maske nicht einfach heraus. Im Bag oder der Maske entsteht vielmehr ein Gasgemisch mit CO2-Anteilen.
Unsere normale Luft hat einen CO2-Anteil von 400 ppm oder 0,04 %, den wir nicht spüren. Erhöht sich indes in dem Luft- bzw. im Gasgemisch, das wir einatmen, der CO2-Anteil auf 4 – 5 %, kommt es zu Panikreaktionen, ähnlich wie beim Ersticken (s. u.). Daraus resultieren zwei Fragen:
1. Entsteht in der Maske, bzw. im Bag überhaupt ein Gasgemisch, oder sinkt das deutlich schwerere CO2 nicht doch nach unten ab?
2. Wie viel CO2 gibt der Körper mit jedem Ausatmen frei? Ist diese Menge überhaupt bedenklich?
GASGEMISCHE
Bekanntlich vermischen sich Gase im Gegensatz zu Lösungen (Festes aufgelöst in Flüssigkeit) oder Legierungen (Metalle) sehr leicht. Dabei werden z. T. auch sogar feste Teile aufgenommen, z. B im Rauch und Nebel. Der Prozess der Vermischung kommt zu Stande, weil sich Gasmoleküle schnell bewegen und sich dabei permanent anstoßen. Hinzu kommt die ständige Verwirbelung, die sich nur in hermetisch geschlossenen Behältern unterbinden ließe.
Gasgemische sind heterogene Gemische, d. h. es kommt zu keinen chemischen Verbindungen. Eine erhebliche Rolle spielen Temperatur und die Druckverhältnisse. Der Partialdruck kann gemessen werden und kann bei den einzelnen Gasen auch in unserem Körper unterschiedlich hoch sein.
Die Vermischung als ein Prozess wird Diffusion genannt. Dabei streben die beteiligten Gase einen Konzentrationsausgleich an, sie wollen sich untereinander möglichst schnell gleichmäßig verteilen. Strömungen verstärken wie beim Umrühren von Lösungen den Vermischungsprozess, die Tendenz zum Konzentrationsausgleich bleibt dabei aber ungebrochen. Die Gewichtsunterschiede zwischen beteiligten Gasen sind sehr gering und spielen bei der Vermischung keine Rolle. Strömungen gibt es zudem im Bag oder in der Maske allemal.
Die Bewegung im Gasgemisch hin zu einem Konzentrationsausgleich nennt sich thermische Bewegung. In diesem Prozess bewegen sich die einzelnen Atome und Moleküle zwar nach Zufall, insgesamt verläuft der Gesamtprozess indes statistisch gradlinig. Das Gasgemisch strebt immer nach einem „thermodynamischen Gleichgewicht“, also nach einer Gleichverteilung.
In dem Bag oder in der Maske wird also das sauerstofffreie nahezu 100 % reine inerte Gas (Helium, Stickstoff, Argon) auf die Ausatmenluft treffen. Ausgeatmet wird dann zunächst neben dem eingeatmeten inerten Gas ein noch gegebener Sauerstoff-Anteil von ca. 17 % und ein CO2-Anteil von 4,03 %. Der 0-Anteil von 17 % nimmt dann sukzessive ab.
Einmal vermischte Gase lassen sich nur schwer wieder entmischen, allenfalls wie gesagt in einem hermetisch abgeschlossenen Behälter. Taucher empfehlen sich untereinander, ihre mit einem Gas-Trimix gefüllten Flaschen nach einer monatelangen Lagerung zwecks erneuter Vermischung etwas zu rollen.
Bei ihrer Vermischung folgen die Gase dem Gesetz der Entropie. Will man ein Gasgewicht unbedingt wieder entmischen, muss eine erhebliche Energie aufgebracht werden, am besten ein drastisches Herunterkühlen. Bei minus unter 270 Grad stoßen sich die Moleküle gegenseitig nicht mehr an, die Vermischung bleibt aus. Gern wird dann auch der Hinweis auf den tödlichen Gärkeller gegeben, wo schon jemand in einem CO-See erstickt sein soll. Aber hier war es sehr kühl, lange Zeit windstill, und das Kohlendioxid ist unten aus den Fässern ausgetreten.
Die einzelnen Gasgewichte in kg pro Kubikmeter bei dem normalen Luftdruck von 1.01 bar:
O 1,43
Ar 1,78
CO2 1,98
He 0,18
Luft 1,2
N 1,17
Die Differenzen zwischen den einzelnen Gewichten sind also sehr gering, was die Vermischung wohl begünstigt.
Argon, das in der uns interessierenden Literatur kaum erwähnt wird, hat eine etwas andere narkotische Wirkung als HE und N. Während das noch etwas schwerere CO2 immer wieder durchaus abgeatmet wird, setzt sich das Argon vermutlich unten in der Lunge fest, da es von den Alveolen (Lungenbläschen) nicht aufgenommen wird. Damit sinkt aber auch das Vermögen der Lunge, CO2 abzuatmen. Hypoknapie? Wegen der Alveolen-Sache favorisiere ich das körpernahe Nitrogen.
Zur Frage zwei
Ist nun das erneute Einatmen des zuvor abgeatmeten CO2 nachteilig oder gar gefährlich? Auf jeden Fall wird es unangenehm, wenn eine CO2- Konzentration von 20.000 ppm eingeatmet wird – es beginnt mit Husten und dann so fort. Normale Luft hat einen CO2- Anteil von 400 ppm.
Abgeatmet wird bei Einsatz von N als inertes Gas, wie gesagt, zunächst 17% Sauerstoff, 4,03% CO2, dann die 78% Nitrogen und 0,97% restliche Gase. Das CO2 hat also den gesunkenen O-Anteil kompensiert. Allerdings bedeuten 4,03% CO2 bereits eine Menge von 40.000 ppm. Noch einmal eine andere Rechnung:
400 ppm CO2 sind normalerweise in der Luft. 400 ppm entsprechen 0,04 Volumenprozent. Mit einem Atemzug werden aber bereits 30.000 oder 40.000 ppm CO2 freigesetzt. Das sind 3 – 4 Volumenprozent. Da der wieder ausgeatmete Sauerstoffanteil anfangs noch recht hoch ist und wieder z. T. eingeatmet wird, verlangsamt sich die CO2-Produktion, wie sie durch die Verbrennungseffekte im Körper ohnehin weiter abläuft, zumindest anfänglich nicht dramatisch.
Würden die mit dem ersten Atemzug abgeatmeten 30.000 ppm CO2 noch zweimal komplett wieder eingeatmet, kämen wir auf 90.000 ppm bzw. 9 Volumenprozent. Ein CO2-Anteil von 4 – 5 % Volumen beim Einatmen führt bereits zur Panik, 8 % CO2-Anteil sind tödlich. Ein CO2-Anteil von 1000 ppm, also 1 %, bewirkt bereits ein Zittern., von dem in der Literatur ja auch berichtet wird.
Es kommt also darauf an, welches Gasgemisch in der Maske oder Haube entsteht. Über die Diffusionsgeschwindigkeiten liegen mir keine Zahlen vor. Vielleicht vermischt sich das sehr leichte Helium nicht so schnell mit dem CO2 als das nur wenig leichtere Argon. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt.
ZUR HYPOXIE
Der Alarmgeber im Körper bei Luftmangel ist das CO2. Es gibt den Befehl, atmen, atmen. Wenn wie beim Ersticken oder Ertrinken nicht mehr geatmet werden kann, kommt es zur Schnappatmung und zur Panik, nicht aufgrund eines Sauerstoffmangels (es ist zunächst noch genügend Sauerstoff im Körper) sondern aufgrund des CO2-Anstiegs. Bei der Hypoxie wird nun weiter geatmet, aber eben ohne Sauerstoff. Das CO2 soll dabei abgeatmet werden. Das Gehirn ist so beschaffen, dass es bei einer ausbleibenden O-Zufuhr peu ad peu seinen Betrieb einstellt. Die Folge Hirntod und anschließendes multiples Organversagen. Die CO2-Reduktion dabei ist aber wichtig.

LF 5 (2) Die Macht des Lebenstriebs

Auch der Astrophysiker Stephen Hawking (Brief Answers to the big Questions, E-Book, Kindle, Pos 769 ff.) kann aus seiner Sicht erklären, warum das einzelne Lebewesen aus seiner Ego-Perspektive heraus nicht mit dem großen Verfall in die Entropie einverstanden sein kann. Einfach gesagt, physikalisch strebt alles dem Wärmetod entgegen, und dieser Prozess ist unumkehrbar (2. Hauptsatz der Thermodynamik) Das einzelne Leben aber – so Hawking – ist ein System, das in sich selbst besteht. Es stellt sich der großen physikalischen Tendenz entgegen. Es muss also versuchen, kraft des Systems seiner eigenen Lebendigkeit, Wärmepotenzen (Nahrungskalorien) aufzunehmen und sich konträr zum allgemeinen Wärmetod zu behaupten, indem es seine eigene Ordnung aufrecht erhält.
Philosophisch gesagt, das Leben versucht mit all seiner Kraft den Tod zu negieren, ihn irgendwie aufzulösen. Auch von der Physik her wird also nachvollziehbar, dass unser Vitaltrieb so grundlegend und mächtig ist. Er fesselt uns an das Leben.
Wer den Freitod sucht, muss zu einem Entfesselungskünstler werden. Das Leben hält uns in seinem Griff, biologisch und sozial werden wir vereinnahmt und nur mühsam können wir uns aus seinen Fesseln lösen. Auch in der größten Katastrophe werden die Menschen hartnäckig versuchen weiter zu leben, den Ameisen gleich.