LF 2 (8) Wann wird es beim Sterben eine Autonomie geben?

Friedrich Nietzsche war sich wohl bewusst, dass seine Predigt „Vom freien Tod“ unzeitgemäß war. „Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste feiert.“
Aber es ist ein Kulturwandel im Gange, wenn auch erst seit 20 – 30 Jahren. Thomas Macho hat ihn fundiert herausgearbeitet; das Thema, selbstbestimmt sterben, wird uns nicht mehr verlassen.
Als ein früher Gegner jener Auffassung, die Kirche, der Staat und die Standesorganisation der Ärzte hätten ein heiliges Recht, jedwede Form des Suizids zu untersagen, kann der amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin gelten. Bereits 1993 veröffentlichte er eine Schrift zu dieser Frage.
Eines der Hauptargumente Dworkins lautet, wir würden einem Missverständnis aufsitzen, wenn wir davon ausgehen, man müsse einen Schwerkranken auf jeden Fall und mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, lebensverlängernd „bearbeiten“. Man könne doch ebenso die andere Perspektive einnehmen, dass wir ihm mit diesen Maßnahmen, wenn sie eben doch im Grunde gegen seinen Willen sind und intensiver und intensiver erfolgen, Schaden zufügen, also seelisch und körperlich übergriffig werden.
„Wenn wir verstehen, warum und in welcher Weise es Menschen wichtig ist, wie und wann sie sterben, erkennen wir, dass … (ein solcher Übergriff) … falsch und gefährlich ist. … Darauf zu bestehen, dass ein Mensch auf eine Art und Weise stirbt, die nach Meinung anderer (sic !) richtig ist, für ihn jedoch in einem gravierenden Widerspruch zu seinem Leben steht, ist eine Form menschenverachtender Tyrannei.“ (Dworkin)
1997 veröffentlichte Ronald Dworkin zusammen mit den bekannten Moralphilosophen, Thomas Nagel, Robert Nozick, John Rawls u. a einen offenen Brief, der drei Grundsätze enthält:
1. Jede kompetente Person hat das Recht, aufgrund grundlegender religiöser oder philosophisch Überzeugungen über das eigene Leben zu entscheiden.
2. Es kann sein, dass in einer spontanen Situation unter emotionalem Druck Entscheidungen im Widerspruch zu langfristigen Einstellungen stehen. Es kann daher gerechtfertigt werden, dass der Staat Bürger gegen sich selbst vor einem spontanen Selbstmord schützt.
3. Daraus folgt nicht, dass ein Sterbenskranker zu einer Verlängerung seines Lebens gezwungen werden sollte.
Siehe dazu Dworkin in der Wikipedia. Dworkins Bunch hat den Titel An Argument about Abortion, Euthanasia and Individual Freedom, dt. 1994. Die Zitate sind entnommen dem Auszug in, Gibt es einen guten Tode?, bei Reclam.

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