LF 6 (2) Die Todesfurcht als Maske

Besonders in dem Aufsatz, Soll der Mensch in Furcht und Hoffnung leben? (s. hier im Blog) wurde deutlich, wie sehr besonders in der Religionsgeschichte unsere kleine Todesfurcht mythologisch aufgeblasen wurde. Mit Ängsten zu spielen, ist ein bekanntlich verlockendes Spiel.

Die beiden großen Stoiker, Epiktet und Seneca benutzten das Bild von der Maske, um deutlich zu machen, dass die Todesfurcht lediglich eine aufgesetzte Irritation ist.

Epiktet:

„So wie die Masken den Kindern – wegen ihrer Unerfahrenheit – furchterregend und schrecklich erscheinen, so sind wir (die Erwachsenen) in ähnlicher Weise und aus den gleichen Gründen wie die Kinder durch Schreckgespenste betroffen … Was ist der Tod? Eine unheimliche Maske. Nimm sie ab – siehe da, sie beißt nicht.“

Seneca

„Was du bei Kindern feststellen kannst, das widerfährt auch uns etwas größeren Kindern: Sie fürchten sich vor denen, die sie lieben, an die sie sich gewöhnt haben, mit denen sie spielen, wenn sie sie maskiert erblicken; nicht nur Menschen, sondern auch Dingen muss die Maske abgenommen und ihr eigentliches Gesicht zurückgegeben werden.“

Das eigentliche Gesicht des Todes aber ist seine Belanglosigkeit. Mit dieser Sicht Montaignes lässt sich deutlich besser leben und sterben.

Das Bild von der Maske bei diesen beiden antiken Denkern, soll natürlich eine Hilfsfigur sein. Es kann uns helfen, die Todesangst als etwas zu sehen, worüber wir uns täuschen.

An sich muss es darüber hinaus inhaltlich keine  Analysen geben. Die Todesfurcht ist als eine emotionale Erregung, wie bereits Arthur Schopenhauer hervorhob, die Kehrseite unseres Lebenstriebs. Natürlich kommst du in Schwierigkeiten, wenn du diese Furcht pflegst, wenn du sie ausmalst.

Über die kirchliche Lehre hinaus, wurde dies ja im Mittelalter getan. Zur Todesangst trat  die Höllenangst, sie lässt sich prächtig ausmalen. Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist hier Dantes Göttliche Komödie.

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LF 3 (2) Den Tod entdramatisieren

Der Verstand steht still. Er kann den Tod nicht erklären. Weit öffnet sich der Horizont für mythische Vorstellungen. Die Bannkraft des Mythos nimmt uns gefangen.
Indes, die große Frage ist nicht die nach dem Tod. Was wir geistig zu bewältigen haben, ist konfrontiert zu sein mit unserer Endlichkeit. Wenngleich in dieser Endlichkeit unseres Lebens auch Trost gefunden werden kann, so tritt sie uns doch als ein Schrecken entgegen. Und diesen Schrecken projizieren wir auf den Tod.
Epikurs Argument gegen die Todesangst mag zwar ein rational verkürztes Argument sein, aber es trifft. Nach Epikur geht uns der Tod ja deshalb nichts an, weil der Tod nicht da ist, solange wir da und am Leben sind.

Dies entspricht auch unserem Alltagsgefühl in einer ersten Unmittelbarkeit, Gevatter Tod ist doch weit weg. Sind wir dann selbst aus dem Leben weg, weil Gevatter Tod da ist, wissen und spüren wir nichts mehr. Hier noch zwei Folgezitate zu Epikurs Auffassung:  Epiktet meinte gelassen: Der Tod ist nichts Schreckliches. Nur die fürchterliche Vorstellung vom Tod macht ihn furchtbar.“ Und ganz im Gefolge Epikurs formulierte  Ludwig Wittgenstein: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“
Über unsere Endlichkeit, über das Faktum, dass wir nur über eine deutlich begrenzte Lebenszeit verfügen, uns aber gleichzeitig wünschen ewig zu leben – darüber sollten wir reflektieren, nicht über den Tod selbst. Der Tod ist letztlich ein belangloses Ereignis. Diese seine Kontingenz und Belanglosigkeit konnte Michel de Montaigne sehr plastisch verdeutlichen.
Sich mit der Begrenztheit unseres Lebens auseinander zu setzen, führt demgemäß zu keiner Todesphilosophie, sondern hinein in eine Philosophie der Lebenskunst. Wie lässt sich ein begrenztes Leben, eingeschlossen das notwendige Sterben gestalten? Auch hierbei erweist sich Montaigne als ein guter Ratgeber, wenn er sinngemäß ausführt, nahezu gottgleich wären diejenigen, die ihr kleines Leben auf die rechte Weise zu gestalten und zu genießen wissen.
Also kein heideggersches ‚Vorlaufen zum Tode‘, keine existenzialontologische Vertiefung der Todesangst, sondern ein besonnener, ruhiger Blick auf unser je eigenes Leben und unsere begrenzte Lebenszeit.
Der Tod bleibt dabei, was er von jeher ist; ihn selbst können wir nicht gestalten. Es ist eine Frage der Lebenskunst, ein Einverständnis mit unserer begrenzten Lebenszeit, mit unserer Sterblichkeit, mit dem Tod aufzubauen.
Wieviel Selbstverantwortung für dein Leben und dein Lebensende bist du bereit, auf dich zu nehmen? Kannst du dich distanzieren, vom gängigen gelebt werden, vom gestorben werden, von deinem Ego und seinem unbändigen Lebenstrieb?
Menschen sind eitel, und die Religion mit ihrer Rede von der Krone der Schöpfung bestärkt uns darin. Aber haben Menschen wirklich ein besonderes, ein „ewiges“ Leben? Sterben wir einen besonderen Tod?
Wenn wir unser Menschsein über jedes Maß wichtig nehmen, wenn wir unser Menschsein stilisieren, werden wir auch unseren Tod hochstilisieren. Es stirbt da aber keine hochbesondere ‚Person‘ im Sinne Kants. Es stirbt da nicht das Dasein einer ‚Existenz‘ im Sinne eines unhintergehbaren Seins im Gefolge der Existenzphilosophie von Kierkegaard, Jaspers, Heidegger, Sartre. Es stirbt ein Lebewesen einer Spezies, die mit wachsender Tendenz derzeit bereits mit 7,7 Milliarden Exemplaren die Erde bevölkert.
Jedes Lebewesen, ob Pflanze, Mensch, oder Tier, hat sein je eigenes Lebensende. Das ist alles sehr weise so eingerichtet in seiner Individualität und Gemeinsamkeit. Ein beeindruckendes Zusammenspiel von vielfältigem Werden und Vergehen. In Ruhe betrachtet gibt es keinen Grund, unseren individuellen Tod aufzubauschen.
Die weise Mutter Natur hat es so eingerichtet. Wenn wir lernen, dies demütig zu akzeptieren, können Vertrauen und Trost in uns wachsen. „Die Gesetze der Natur lehren uns, was wir wirklich brauchen … mit dem, was die Natur fordert, versorgt sie uns auch.“ (Montaigne, 3. Buch, Essay 10)
Es kostet eine gewisse Überwindung, die Einfachheit wieder zu entdecken. Nicht sich selbst stilisieren, nicht den Tod mythologisieren, sich nicht selbst belügen, ehrlich werden, sich nichts vormachen. Wir sollten die Frage nach der Lebens- und Sterbekunst nicht zu hoch hängen. Einfach anständig bleiben und sterben können.
Der Tod kann schön sein und er hilft uns für ein sinnvolles Leben. Die Schönheit des Todes, jenseits von Pomp und Heldenverehrung kann jede(r) für sich entdecken, sobald er/sie sich nicht mehr ans Leben einfältig anklammert. „Der Tod und die Schönheit sind zwei tiefgründige Dinge, die ebenso viel Schatten wie Licht in sich tragen.“ (Viktor Hugo) Es gibt keine Schönheit ohne Zerfall, und wer hat nicht schon die Schönheit des Morbiden erfahren?
Schließen wir die Gedanken zu einer Entdramatisierung des Todes und Freitodes ab, indem wir uns die Tugend der Einfachheit heilsam bewusst machen. André Comte-Sponville, Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben, dt. 2010, hat darüber einen schönen Text geschrieben.
So hochkomplex und materialüppig wie unser industrialisiertes Leben geworden ist, fällt es uns natürlich schwer, die Einfachheit wieder zu entdecken. Etwas Einfaches ist zum Beispiel der Tod. Einfachheit ist nicht Vereinfachung. Die Einfachheit „ ist das Leben ohne Geschichten und Lügen, ohne Übertreibung, ohne große Geste. Sie ist das unscheinbare Leben, sie ist das wahre Leben.“ (Comte-Sponville, S. 188)
Sinnvoller Weise gilt dies auch für den Tod. Ihn in seiner Einfachheit zu begreifen, ist eine Anforderung an unsere Lebenskunst, an unsere Sterbekunst. Einfachheit ist nicht Einfalt. „Intelligenz ist die Kunst, das Komplizierte auf das Einfachere zu bringen, nicht umgekehrt … frei zu werden, statt sich blenden und einengen zu lassen.“ (Comte-Sponville, S. 190/91) Dabei brauchen wir keinen Paternalismus. Hilfreich kann indes ein inneres Lächeln sein.

LF 4 (5) Bevölkerungsexplosion

In ihrem Herbstgutachten 2019 warnen die sog. Wirtschaftsweisen die Bundesregierung davor, immer höhere Steuerzuschüsse in die Rentenversicherung zu transferieren. Bereits heute fließt insgesamt knapp eine Billion Euro pro Jahr in die Sozialkassen, was fast einem Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung der BRD entspricht. Bis zum Jahr 2045 müssten es dann 1,6 Billionen Euro sein.
Wir können es vorab gesagt kurz machen. Das Problem bei der Bevölkerungsexplosion und der Implosion der Sozialkassen sind nicht die Kinder, sind nicht die Geburtenraten. Es sind die Alten, weil sie keinen Platz machen.
Die Zahl der Geburten geht nicht nur bei uns, sondern auch weltweit bereits deutlich zurück. Gemäß der UNO-Bevölkerungsprognose wir sich die globale Geburtenrate, die 2019 bei 2,47 Kindern pro Frau liegt, bis zum Jahr 2065 auf 2,1 eingependelt haben, was dann von den Geburten her gesehen zu keinem Wachstum mehr führt. 2,1 Kinder pro Frau ist die Rate, die für eine gleichbleibende Bevölkerungsentwicklung vonnöten ist. Allein die afrikanischen Länder treiben derzeit noch die Geburtenrate nach oben. Aber auch dort kann der Abwärtstrend bereits deutlich konstatiert werden.
Weltweit bleibt die Zahl der Kinder bis 14 Jahre bereits nahezu gleich. Bei der derzeit gegebenen Gesamtzahl der Weltbevölkerung von 7,7 Milliarden entfallen 2 Md. auf die Kinder, Tendenz gleichbleibend.
Ganz anders sieht es bei den über 65jährigen aus. Heute gibt es 0,7 Milliarden Alte. Im Jahr 2100 werden es nach der UNO-Prognose 2,5 Md. sein, ein Anstieg um mehr als 300 Prozent. Demgegenüber steigt die Zahl der Erwachsenen im Erwerbsalter im gleichen Zeitraum nur noch von 5,1 Mrd. auf 6,5 Md. Sie werden die 2 Md. Kinder großzuziehen haben und sollen zusätzlich 2,5 Md. Alte alimentieren.
Den 6,5 Md. – theoretisch – Erwerbstätigen, die ja auch selbst noch leben und konsumieren wollen, stehen dann 4,5 Md. Kostgänger gegenüber. Im Jahr 2100, so die Prognose, werden demnach 11 Milliarden Menschen den Planeten bevölkern, im Jahr 1500 lag die Zahl noch bei 500 Millionen. Schwindelerregend.
Zukunftsoptimisten und Technikfreaks mögen glauben, Roboter, riesige Gewächshäuser und bisher noch unbekannte Nahrungsquellen werden schon noch für uns sorgen. Außerdem würden die Menschen auf andere Planeten auswandern usw. usw. Das Nahrungsproblem mag lösbar sein. Wie aber soll angesichts der aufgezeigten demographischen Disparitäten der gesellschaftliche Zusammenhalt noch aufrechterhalten werden?
Japan liefert ein anschauliches Beispiel für die herannahende Entwicklung. Die Renten sind vergleichsweise gering, die Gesamtbevölkerung schrumpft aufgrund der zurück gehenden Geburtenrate, die unter 2,1 pro Frau liegt.  Die Überalterung ist das Problem.
Die Regierung des Landes versucht sich in bereits recht drastischen Maßnahmen. Die Alten sollen möglichst bis zum 70. Lebensjahr arbeiten. Die Mehrwertsteuer wurde unlängst um 7 Prozentpunkte erhöht, um den drohenden Kollaps des Rentensystems aufzufangen.
Sieht es bei uns viel rosiger aus? 1960 lag die durchschnittliche Rentenbezugszeit noch bei 10 Jahren, heute liegt sie bereits bei 20 Jahren. Die Alten beziehen also doppelt so lang Rente, wie das noch 1960 der Fall war. Das bisherige Umlagesystem wird nicht zu halten sein, trotz der Steuerzuschüsse. 54% der Deutschen glauben laut einer Umfrage bereits heute an den Rentenkollaps.
Die Jahre bis 1925 gelten noch als die „leichteren“ Jahre. Die FDP und andere propagieren als Lösung die private Vorsorge, aber ein Drittel der derzeit Lebenden hat dazu gar nicht die Mittel. Die übrigen mögen sich die enorme Summe ausrechnen, die angespart werden müsste.
Auch sollte bedacht werden, dass die Kosten einer Pflegebedürftigkeit mit Heimaufenthalt so hoch sind, dass die eigene Rente fast niemals ausreicht. In Deutschland sind aber heute bereits 3,4 Millionen Menschen pflegebedürftig, da hilft der Verschiebebahnhof zwischen den Sozialkassen auf die Dauer auch nicht weiter.